Jeremia 8, 4 – 7

 

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

 

 

4 Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?

5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. 6 Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. 7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.

 

Liebe Gemeinde,
jetzt ist es Mitte November und der Herbst hat seinen Höhepunkt erreicht. Die Bäume haben ihr Laub verloren und graue Tage sind eingezogen. Die Zugvögel sind lange nach Süden geflogen, und manchmal beneide ich sie um die Möglichkeit der Dunkelheit und der Kälte hier zu entfliehen. Storch, Schwalbe, Drossel und Turteltaube nennt Jeremia in seiner Rede an die Priester in Jerusalem und verweist auf die großen Vogelzüge, die jährlich im Frühjahr und Herbst das Jordantal auf und abziehen. Das sind eindrucksvolle Ereignisse, denn die Zugvögel ziehen auf zwei Straßen nach Süden, die einen über Spanien und Gibraltar und die anderen über Griechenland, die Türkei und dann den Grabenbruch im Jordantal hinunter. Vor fast dreitausend Jahren muss das viel eindrucksvoller gewesen sein als heute, wo es nicht mehr so viele Zugvögel gibt.

Ich hoffe innerlich schon ein bisschen auf die Rückkehr der Sonne und der Vögel und warte sehnsüchtig darauf. Wie ein Uhrwerk laufen die Jahreszeiten seit Jahrmillionen ab und das ist die Ordnung des Herrn. So wurde die Erde geschaffen und so ruht sie in der Hand des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

Jeden Morgen geht die Sonne auf und jeden Abend geht sie unter. Sie ist das beherrschende Gestirn und von ihr kommt alle Energie und Wärme, die wir so notwendig brauchen. Das haben die Priester im alten Israel damals auch so gesehen und sahen sie auch kein Problem darin, im Tempel Jehovas auch neben seinem Heiligtum ein Sonnenheiligtum zu bauen, um den Ägyptern einen Gefallen zu tun. Das aber war eine Abkehr von Gottes Weg und eine schwere Verfehlung. Jeremia wendet sich ganz entschieden gegen die Mischtempel und die Priesterschaft. Mischkulte gibt es nicht zum ersten Mal. Überall finden wir in den antiken Tempeln den verzweifelten Versuch der Menschen, sich nach allen Seite abzusichern.

Die Vögel fragen nicht, sondern sie folgen ihrem inneren Plan, aber wir Menschen stehen da, zweifeln, unsicher und haben Angst. Auch heute spürt man bei uns die Fragen und Ängste, wie es weitergehen wird, auch in der notwendigen Diskussion um den Klimawandel. Wir Menschen wissen, dass Leben bedroht ist, dass es keinen sicheren Grund gibt, dass alles sich wandeln kann.

Der einzig sichere Grund sind der Glauben, das Vertrauen auf Gott und die Gewissheit, dass wir uns in seinen Händen geborgen sein dürfen. So denkt und lebt auch Jeremia. Für ihn, für den Propheten gibt es keinen Zweifel. Gott spricht zu ihm und Gott spricht durch ihn.

"Du sollst ihnen sagen!" Das weiß Jeremia, als er die Vorgänge in Jerusalem sieht, denn Gott hat ihn zum Propheten berufen, dem Volk und den Priestern zu sagen: "So spricht der Herr!" Gott spricht durch Menschen zu uns. Gottes Wort lesen wir in der Bibel, es wird auch heute in Liedern, Gebeten, in der Schriftlesung und in der Predigt hier im Gottesdienst verkündet. Gott spricht aber auch zu uns persönlich in Gedanken oder mit einer leisen Stimme, die dem Gewissen so ähnlich ist.

Der berühmte Philosoph Kant nannte zwei Gründe, die ihn an Gott glauben ließen:
"Der Sternenhimmel über mir und das moralische Gesetz in mir."

Jeremia würde das bestätigen. Auch er sieht im Vogelzug ein Bildnis für das immerwährende Geschehen in der Natur, das sich so gesetzmäßig abspielt und er sieht in Gottes Gesetz die Richtschnur für das Leben. Für ihn gibt es nichts anderes. Er liebt Gott von ganzem Herzen und das Gesetz, die Thora. Jeden Verstoß dagegen nennt er Sünde.

"Du sollst keine anderen Götter haben neben mir", lässt Gott durch seinen Propheten Moses dem Volk sagen, "denn ich, dein Gott, bin ein eifriger Gott." "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!", so spricht der Prophet Jesaja zum Volk Israel. Gott hat sein Volk erwählt und hält zu ihm wie ein liebender Partner.

Da muss es weh tun, wenn die Priesterschaft in wunderschönen Gottesdiensten auch andere Gottheiten um Schutz anfleht. Vergessen wir die Ausnahmesituation nicht. Israels Existenz ist bedroht. Die Großmacht Babylon streitet gegen die andere Großmacht des Altertums Ägypten, und Israel liegt genau in dem Tal, durch das nicht nur die Vogelschwärme sondern auch die feindlichen Heere immer wieder ziehen.

Muss man da nicht alle Hilfe holen, die irgendwo möglich ist? Angst ist ein schlechter Ratgeber. Gott verurteilt die Priester auch nicht. Er baut ihnen goldene Brücken, wie wir sagen:
Wer hinfällt, steht der nicht wieder auf? Wer vom Wege abkommt, kehrt der nicht zurück?

Wie viel Verständnis klingt da durch. Jeder kennt das aus seinem eigenen Leben. Man kann auf die Nase fallen, aber man muss doch wieder aufstehen. Jedes Kind tut das. Wer arbeitet, der macht Fehler. Das ist nun einmal so, und wer lebt, der irrt sich auch einmal und geht einen falschen Weg. Wer hat sich nicht schon einmal verfahren und musste eine Strecke zurück, um den Anschluss wieder zu finden?

In diesen Worten des Jeremia dürfen auch wir uns wieder finden.

Gott hat Verständnis für den Menschen. Er hat ihn in Freiheit erschaffen. Das ist eine großartige Möglichkeit. Wir sind eben nicht wie die Tiere oder wie die Zugvögel an einen Instinkt gebunden, der uns handeln lässt, sondern haben die Möglichkeit uns selbst zu entscheiden.

Gott gab uns Hilfen für unser Leben. Das sind sein Wort und seine Gebote, aber er gab uns auch die Freiheit uns zu entscheiden, denn Gott will eine Beziehung zu uns Menschen. Er wendet sich seinen Menschen in Liebe zu. Auch in unserem Predigttext hören wir einen werbenden und keinen strafenden Gott.

Es klingt enttäuscht und fragend, was Gott Jeremia sagen lässt: Warum wendet sich das Volk ab und beharrt auf der Abkehr? Warum hält es am Irrtum fest, weigert sich umzukehren?
Ich horche hin und höre: Schlechtes tun sie, keiner bereut sein böses Tun und sagt:

Was habe ich getan? Jeder wendet sich ab und läuft weg, schnell wie ein Ross, das im Kampf dahinstürmt. Da wundert sich jemand über das seltsame Verhalten seines Partners, so klingt es in dem Text. Manchmal sind wir Menschen so, das hat sich in den Tausenden von Jahren nicht geändert. Es ist nicht einfach umzukehren. Es ist auch nicht einfach einzusehen, dass man auf einem falschen Wege ist. So verrückt das ist, aber manchmal bleibt man vielleicht auch aus Trotz auf dem falschen Weg und läuft weiter, obwohl man weiß, dass man eigentlich umkehren müsste.

Das Bild vom Ross, das im Kampf dahinstürmt, hat mir so gefallen. Nein, ich habe zum Glück noch keinen Kampf miterleben müssen, aber man kann es sich vorstellen, wie das Tier in Angst und Schrecken weder nach rechts noch nach links sieht, sondern nur noch voranstürmt. Das Adrenalin bremst alle Sinne aus und alles ist auf die Flucht nach vorn ausgerichtet, obwohl vielleicht gerade dort das Verderben lauert.

Wir hören in unseren Gottesdiensten oft das Wort Sünde. Es ist ein Wort, das uns fremd geworden ist. "Ich bin ein sündiger Mensch, der vor Gott nicht bestehen kann", das war Luthers Erkenntnis. Aber er blieb nicht dabei stehen, sondern er fand in dieser Erkenntnis die Liebe Gottes. "Deshalb habe ich meinen Sohn zu euch gesandt, deshalb ist Christus für euch gestorben, damit ihr nicht dabei stehen bleiben müsst. Der Graben ist überwunden. Ihr könnt zu mir zurückkehren. Ich halte euch meine Hand hin und biete sie euch an. Ergreift sie doch!"

Diesen Zuspruch Gottes las er im Römerbrief. Luther erfuhr darin Befreiung, und wir dürfen jeden Sonntag im Gnadenspruch die Zusage hören: "Dir sind deine Sünden vergeben. Du kannst neu anfangen. Stürm nicht wie ein Schlachtross dahin, sondern halte inne, denke nach!
Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, aber habe auch den Mut zu glauben und zu vertrauen!"
Das ist ein großartiges Angebot, das auch in den Worten des Jeremia durchklingt.
Vergessen wir aber nicht: Die Worte, die wir heute als Predigttext gehört haben, waren an das Volk Israel gerichtet, das vor zweieinhalbtausend Jahren vor schwersten Prüfungen stand. Jeremia musste dem Volk Israel schwere Strafen ankündigen. Er musste den Menschen damals sagen, dass die Babylonier das Land verwüsten und sie in die Gefangenschaft führen werden, wenn sie nicht umkehren.
Es ist genauso gekommen, wie der Prophet Jeremia es vorausgesagt hat. Israel wurde zerstört, ein Großteil seines Volkes wurde in die babylonische Gefangenschaft geführt. Aber sie durften auch zurückkehren. Gott geht seinen ganz eigen Weg mit seinem Volk. Die Texte des Alten Testamentes sind Kostbarkeiten, welche das Volk Gottes bewahrt hat.
Wir lesen heute die Texte, als seien sie auch an uns gerichtet. Das dürfen wir, weil wir uns durch Jesus Christus als zum Gottes Volk zugehörig empfinden dürfen. Gott spricht aus diesen Texten. Wir dürfen sein Wort hören, als sei es in unsere Zeit gesprochen, denn sein Wort gilt für alle Zeit und seine Zusagen sind gestern, heute und morgen gültig. Wir dürfen die Texte auf uns beziehen und das, was uns anspricht auch in uns widerklingen lassen.

Die Zugvögel ziehen noch immer ihre Bahnen. Die Schwärme der Störche kreisen im Februar wieder über dem See Genezareth und hoffentlich wird es immer so bleiben. Die Natur hat ihren Rhythmus und es ist wunderbar zu erleben, wie sich die Jahreszeiten abwechseln. Das Leben bleibt nicht stehen und will immer wieder, jeden Tag neu gelebt werden.

Die Worte des Jeremia sind in mir nachgeklungen. Durch sie dürfen wir erfahren:

Gott wirbt um uns. Wir Menschen sind ihm wichtig. Er möchte, dass wir auf dem richtigen Weg gehen, denn er weiß, was gut für uns ist. Gott kennt den richtigen Weg und ihm allein kann ich vertrauen.
Warum ist es so schwer umzukehren?

Das ist eine Aufforderung darüber nachzudenken: Bin ich auf dem richtigen Weg oder habe ich mich verrannt? Gerade in einer Zeit, die so schnelllebig ist wie die unsere, brauchen wir diese Momente des Innehaltens. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man uns gerade diese Zeit nicht geben möchte. "Rufen Sie jetzt an! Bestellen Sie jetzt!" So heißt es doch überall in der Werbung. Wer zu schnell läuft, merkt vielleicht erst viel zu spät, in was er sich verrannt hat.

Jeremias Wort mahnen mich nachzudenken, stille zu werden und in mich hineinzuhorchen.

Amen

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.