Johannes 12, (Einheitsübersetzung)
20 Auch einige Griechen waren anwesend - sie gehörten zu den
Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten. 21 Sie traten an
Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten
zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus ging und
sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es
Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen,
dass der Menschensohn verherrlicht wird. 24 Amen, amen, ich sage
euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,
bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben
in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige
Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo
ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient,
wird der Vater ihn ehren.
Liebe Gemeinde,
Wir sind mitten in der Passionszeit Fastenzeit wir
begleiten Jesus auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg zur
letzten Entscheidung, auf dem Weg zu seinem Tod, auf dem Weg der
Verherrlichung, wie Johannes immer wieder das Martyrium Jesu
beschreibt. Opfer als Verherrlichung? Das klingt sehr
widersprüchlich Aber eines nach dem anderen.
Es ist unruhig in diesen Tagen in Jerusalem. Als Jesus in
Jerusalem einzieht auf einem Esel, dem Königssymbol, jubelt ihm
die Menge zu. Das verstört die jüdischen Autoritäten, sie
trachten Jesus schon seit seinen letzten zeichenhaften Taten nach
dem Leben, aber die Jünger scharen sich weiter um ihn, um Jesus,
sie folgen ihm, folgen seinen Ausführungen, sind überzeugt von
ihm.
Viele Menschen wollen in Jerusalem das Passahfest im Tempel
feiern, sie kommen aus aller Herren Länder, in denen auch in der
Antike schon jüdische Gemeinden lebten.
Aber auch Jesus interessiert die Menschen, zieht die Menge an,
Neugier, Interesse, Betroffenheit und Bewunderung mag die
Menschen inspirieren, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ihn
anzuhören, vielleicht auch ihm nachzufolgen.
Zwischen der großen jüdischen Gemeinde und ihren Vertretern,
den Pharisäern und Schriftgelehrten, den Priestern und vor allem
dem Hohenpriester dieses Jahres und der Gruppe um Jesus entsteht
erbitterte Konkurrenz: Griechischsprachige Juden oder Griechen,
die sich der jüdischen Gottesvorstellung verpflichtet fühlen,
kommen von weither und wollen im Tempel zum Passahfest dabei sein.
Aber als sie von dem berühmten Mann, dem Mann Jesus, hören,
wollen sie auch ihn sehen und sich von ihm persönlich ein Bild
machen oder auch ihn anbeten?
Zu einem berühmten Mann geht man nicht einfach so, man fragt an.
So fragen sie einen Jünger, Philippus, der sagt es Andreas, dem
Bruder von Petrus, der Jesus noch näher steht, beide sprechen
nun mit Jesus. Und der, anstatt sich huldvoll der Menge zu zeigen,
mit den Griechen einen anspruchsvollen intellektuellen Dialog zu
führen, seinen Fans gegenüberzutreten, redet von etwas ganz
anderem. Wovon, darüber später.
Noch einmal zurück zu den Griechen: Wer von so weit herkommt, um
in Jerusalem anzubeten, hat ein existentielles Interesse an
Glauben, Spiritualität, Hoffnung. Er setzt viel Geld, Zeit und
Energie ein, um zu seinem geistlichen Ziel zu gelangen. Der
berühmte Tempel in Jerusalem, das Passahfest, die jüdische
Frömmigkeit, sie ziehen Menschen aus aller Herren Länder an.
Sie wollen im Tempel anbeten. Das griechische Wort dafür heißt
proskynein.
Das Verb heißt übersetzt: sich niederwerfen wie die Hunde vor
ihrem Herrn, dann übertragen: niederkniend huldigen, fußfällig
verehren, anbeten, unterwürfig grüßen. (W. Bauer, Wörterbuch
zum NT, Berlin 1963, Sp.1421)
In Indien sehen geheilte Patienten ihren Arzt im Lepra-Hospital,
in dem sie behandelt und operiert wurden. Vor lauter Dankbarkeit
und emotionaler Überwältigung werfen sie sich auf den Boden und
versuchen, seine Füße zu küssen. Der Arzt ist seltsam berührt
und versucht, die Patienten abzuwehren. Sie aber wollen ihm
einfach Ehre erweisen und Respekt vor seiner Kunst und seiner
Autorität zeigen.
Bei afrikanischen Völkern ist es Sitte, wenn der Stammeschef
auftaucht, von der Strasse herunter zu gehen und sich direkt
flach vor ihm in den Staub zu werfen, egal, was für Kleider man
anhat, ob Festtagskleidung oder Arbeitskleidung.
In Asien nennt man das Kotau. Auch hier
liegt man mit dem Gesicht voraus mit dem ganzen Körper flach auf
dem Boden.
Katholische Priesteranwärter werfen sich vor ihrer Erhebung in
den Priesterstand flach auf den Boden vor dem Altar, proskynein,
um sich dann weihen und in den Stand des katholischen Priesters
erheben zu lassen.
Absolute Demut, absolute Unterwerfung, aber auch absolute
Dankbarkeit gegenüber der Autorität des Arztes, des
Stammesführers, des Bischofs und natürlich Gottes, der durch
die persönliche Niederwerfung geehrt werden soll.
Anbeten wollten die Griechen und sie vermuten in Jesus offenbar
auch eine anbetungswürdige Person, die mit Gott zu tun hat
Und was sagt der? Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn
verherrlicht wird. Er weiß oder vermutet, was auf ihn zukommt,
sein Martyrium, das Opfer seines Lebens. Im Johannesevangelium
wird immer wieder davon gesprochen, dass das Leben und Sterben
Jesus der Verherrlichung seines Vaters dient und dass Gott seinen
Sohn durch die Verherrlichung ehrt. Opfer als Ehre? Für uns ist
Opfer Entsagung, Leiden, Niederlage oder bewusste Inkaufnahme von
Nachteilen, um sich hinzugeben, sich auch aufzugeben?
Der Fußballer, der ein technisches Foul provoziert, weil der
Gegner ihm mit dem Ball davonrennen will, er riskiert mit diesem
Foul vom Platz gestellt zu werden, er opfert sich für die
Mannschaft auf, denkt er.
Jesus sagt den beiden Jüngern und den Griechen mit ihnen: Ich
gehe jetzt den Weg der Verherrlichung, mein Opfer steht bevor. Es
berührt mich immer wieder, wie intensiv das Johannesevangelium
darauf beharrt: Jesu Opfer muss sein, es dient der Verherrlichung
Gottes und der Verherrlichung des Sohnes zugleich pro nobis, für
alle! Solche gewaltige Deutung gibt Johannes diesen Ereignissen.
Und mit seiner Opfervorstellung verbindet Jesus eine ganz
schlichte, eingängige Ethik in einem Bild aus der Landwirtschaft:
Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen. Damit sagt er.
Ich, das Weizenkorn, muss in die Erde Ich muss sterben
nach drei Tagen werde ich auferstehen Ich werde
Frucht bringen. Die Frucht ist, dass Jesus den Tod besiegt hat
und uns Menschen alle Schuld vergibt. Und daraus lernen wir: ihr,
die ihr Jesus nachfolgen wollt, ihr müsst sterben, wenn ihr
Frucht bringen wollt, Ihr müsst Euch aufopfern, wenn ihr
wirklich sinnvoll leben wollt, wenn ihr ihm nachfolgt, bringt das
nicht Ruhm, Ehre und Anerkennung, sondern, ihr müsst gewärtig
sein, Euer Leben zu verlieren.
Wenn ihr euch krampfhaft an euer Leben, euren Besitzstand, eure
Familie, eure Heimat klammert und nur danach trachtet, könnt ihr
alles verlieren. Wenn ihr frei und unabhängig mit eurem Leben,
eurem Besitzstand, eurer Gesellschaft umgeht und deren Pflichten
und Engführungen nicht in allem folgt, sondern in Kritik und
Zustimmung, in Widerstand und Ergebung euren eigenen Weg in der
Nachfolge Jesu geht, dann werdet ihr gewinnen, Sinn, Erfüllung,
Vollendung und, wie auch immer man es verstehen mag: ewiges Leben
bei Gott.
Im einfachen Opfer alles zu fassen. So hat Jesus sich verstanden
und das auch seinen Nachfolgern nahe gelegt, sie sollen nun aus
der demutsvollen Niederwerfung vor der Autorität, der Proskynese,
aufstehen und handeln in einer Welt voller Widersprüche, ohne
die Garantie, mit ehrfurchtsvollen Gesten vor den Großen dieser
Welt deren Zuneigung und Anerkennung zu gewinnen.
Nein, Nachfolge heißt, sich in der Welt und für die Welt
einsetzen, auch unter Gefahr von Leben und Gesundheit. Diese Welt
ist nicht alles. Das kann zum Burn-out führen, oder zur
endgültigen Anerkennung in und bei Gott, dem Vater Jesu Christi.
Wollen wir uns dahin auf den Weg machen? Ich zögere immer wieder,
finde die Vorstellung aber attraktiv und nachahmenswert.
Ob die Griechen das auch so gesehen haben, oder Jesu Jünger,
oder wir Christen heute?
Der Lohn dafür, den hat Jesus auch beschrieben, ER, der Christus,
der Messias: Noch einmal seine Worte aus dem Johannesevangelium:
Joh. 12, 25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber
sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins
ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach;
und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir
dient, wird der Vater ihn ehren.
Welche Konsequenzen im persönlichen Leben aus der Nachfolge Jesu
gezogen werden, dass muss jeder für sich selbst herausfinden.
Sie können darin bestehen, sich genügen zu lassen, dass wir
Brot und Nahrung und ein Dach über dem Kopf haben, mehr braucht
es nicht, auch nicht ständiges Wirtschaftswachstum zur
Ausbeutung von Gottes Schöpfung.
Sie können darin bestehen, sich in die Stille und in das
Schweigen zurückzuziehen, sich meditativ Gott anzunähern
versuchen, ohne sogleich große Wunder und Zeichen zu erwarten,
und sie können zuletzt auch darin bestehen, dass man mit seinem
Opfer dazu beiträgt, die Welt immer wieder auf ihr Ende in und
bei Gott zu verbessern und vorzubereiten, denn dieser Christus
wird durch sein Opfer und die Verherrlichung des Vaters wie des
Sohnes in all seiner Herrlichkeit wiederkommen am Ende aller Zeit.
Dessen bin ich gewiss!
AMEN