Apostelgeschichte 12, 1-11

 

Liebe Gemeinde,

 

ich möchte Sie heute mit in eine Situation nehmen. Quasi auf eine Reise. Sie soll uns zur heutigen biblischen Geschichte geleiten.

 

Im Hochsicherheitstrakt. Gefangener P. dämmert vor sich hin. Tag wie Nacht sparsame Beleuchtung, vereinzelte Sonnenstrahlen, Fackeln. Die Stunden schleichen dahin. Eintönige Geräusche. Da, Schritte auf dem Gang – Gesprächsfetzen. Es wird lauter. Gefangener P. schreckt auf. Schon wieder 6 Stunden vorbei – Wachablösung. Die Zwei Wächter an der Tür befreien ihre Kollegen, die an den Gefangenen gekettet sind. Sie stehen auf, strecken sich, reiben sich die Glieder. Abschiedsworte – "Bis morgen dann, um die gleiche Zeit". Das neue Team macht sich bereit. 2 Männer werden an den Gefangenen gekettet, 2 Wachen draußen – rund um die Uhr in 4 Schichten. "Passt nur gut auf, dass uns der hier nicht durch die Lappen geht. Wäre nicht der erste hier – Ihr wisst ja, was dann passiert …" Mit einem Blick auf den Gefangenen gehen die 2 Türsteher raus. Tür zu. Schlüsselklirren – Gesprächsfetzen – Ruhe. Gefangener P. ist müde, kann aber nicht schlafen; er dämmert vor sich hin:

 

Was mag Jakobus hier erlebt haben? Ob es schnell und schmerzlos ging? Todesstrafe. Mit dem Schwert hingerichtet. Ich will es nicht glauben. Hören wir gemeinsam unser Werk auf? So barbarisch? Keine Chance?

 

Ich sehe Jakobus vor mir am See als wäre es gestern gewesen. Wir waren Nachbarn, Kollegen; Jakobus und sein Bruder Johannes, mein Bruder Andreas und ich. Wir waren in der Nacht Fischen; es war hell geworden, wir zogen die Boote an Land, hängten die Netze auf zum Trocknen. Jesus hatte mich angesprochen, einfach so, mich und meinen Bruder und wir sind mitgegangen, einfach so. Jesus sehen und mitgehen war eins. So ging es Jakobus auch: steht einfach auf mit Johannes. Sie lassen ihren Vater Zebedäus einfach im Boot sitzen. Da war etwas neues, aufregendes. etwas, das uns aus unserer Eintönigkeit weckte, lebendig machte.

 

Viele Wege sind wir miteinander gegangen. Was haben wir alles miteinander erlebt … Da fällt mir die Geschichte mit dem Mädchen ein. Der Vater kommt zu Jesus "mein Kind liegt im Sterben, hilf!" Die Leute sagen "Lass doch, sie ist schon tot!" Wir vier gehen mit Jesus in das Haus und sehen leibhaftig wie er vor ihr steht – "talita kum, wach auf, Mädchen." Und sie wacht auf, als hätte sie nur geschlafen … Was für ein Wunder!

 

Noch sonderbarer war unser Ausflug in die Berge, wieder Jakobus, ich und unsere Brüder. Jesus war in Licht gehüllt, verklärt und eine Stimme spricht "das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören". Das war ein unbeschreiblicher Moment, der wir hier geteilt haben.

 

An noch eine Moment erinnere ich mich: Jakobus und ich mit unseren Brüdern und natürlich Jesus auf dem Ölberg, bevor all dies tragische geschah: Diese düsteren Voraussagungen über Zerstörung und Gewalt, das Ende des Tempels und Verfolgung: "Ihr werdet gehasst sein von jedermann um meines Namens willen. Wer aber beharrt bis an das Ende, der wird selig". Damals habe ich das nicht glauben wollen und heute holt es mich wieder ein …

 

Damals bin ich in jedes Fettnäpfchen getappt, habe groß getönt "ich lass dich nicht, ich schlafe sicher nicht ein, ich verleugne dich doch nicht …" Wie peinlich. Kein Wunder dass ich es nicht fassen konnte, als er vor mir stand: "Weide meine Schafe!" Was für eine Chance, was für eine Verantwortung. Ist sie jetzt zu Ende, werden die Gemeinden alleine fortbestehen? Ich habe mein Bestes dazu getan. Täglich sprechen mehr Menschen von Jesus Christus, überall im Römischen Reich. Jakobus ist tot; doch ich gebe meine Hoffnung nicht auf. Die ganze Gemeinde betet für mich. Es gibt noch soviel zu tun, soviel zu leben. Erschöpft sinkt der Gefangene in tiefen Schlaf.

 

Liebe Gemeinde, Sie haben sicher längst erraten, dass sich die heutige biblische Geschichte mit Petrus beschäftigt. Es geht um Leben und Tod. Manche denken in einem solchen Augenblick an ihre Vergangenheit zurück. Ich habe es für Petrus einmal zu skizzieren versucht. Doch was wirklich einmaliges geschieht, lassen wir uns von der Bibel selbst erzählen. Hören Sie Apg. 12, 1-11:

 

1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. 3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. 4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Abteilungen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Passafest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. 6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. 8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Gasse weiter, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.

 

 

Träume ich oder wache ich, fragt sich Petrus. Plötzlich steht er vor dem Stadttor und nicht mehr im Gefängnis, frei um noch einmal neu anzufangen, frei – eine neue Chance. Träumen oder wachen wir mit, liebe Gemeinde?

 

Können und müssen wir solche Wunder glauben, lassen wir uns so etwas zumuten? Die Bibel skizziert kurz und bündig die Befreiung aus dem Gefängnis in groben Zügen – vieles bleibt offen – traumhaft leicht, unfassbar. " Das muss ein Engel gewesen sein", meint Petrus. Das war eine weitere tiefe Erfahrung seines Lebens – wir haben uns schon an einige erinnert, jede ungewöhnlich, unglaublich. "Das muss ein Engel gewesen sein" haben auch andere Menschen sagen können, die knapp einem Unglück entkommen sind: Sie haben das abstürzende Flugzeug verpasst, etwas zuhause vergessen und beim Umkehren gerade noch einen Zimmerbrand löschen können, wenige Tage, bevor sie eine halbherzige Bindung eingegangen wären den Partner für’s Leben kennen gelernt.

 

Oft wünschen wir uns auch so einen Engel. Wir wollen, dass sich eiserne Tore von selbst für uns öffnen, damit wir aus unseren Gefängnissen fliehen können. Wir sind gefangen in unserer Welt, unseren Gedanken, Vorurteilen und Urteilen, in unserem Körper mit zunehmend mehr Defekten und Krankheiten, in unseren Räumen, seien sie zu eng oder mit soviel Besitz gefüllt, dass wir uns aus diesem goldenen Käfig kaum wegbewegen. Die einen wünschen sich oft aus den Mühen und Eintönigkeiten des Alltags zu entfliehen, dem Druck der Arbeit, den Anforderungen und Ansprüchen anderer zu entkommen. Die anderen sind gar an Stuhl und Sofa gefesselt, weil es ihnen an Kraft fehlt einfach aufzustehen.

 

Nicht jeder bekommt eine Chance und wir könnten fragen: "Warum Petrus und nicht Jakobus?",  „ Warum ich und nicht die anderen?“ doch die Frage nach dem Warum bringt uns nicht weiter. Die Frage ist: "Was können wir tun?" und darauf bekommen wir Antwort aus den biblischen Geschichten:

 

1. Wir können die Hoffnung in uns nähren und wach halten. Hoffnung und vertrauen geben uns Kraft zu bestehen in allen Situationen des Lebens. Wer die Hoffnung aufgibt, gibt sich selbst auf und verschenkt seine Chance sinnlos. Wir können innerlich frei werden, auch wenn wir uns aus den äußeren Umständen nicht lösen können. So schreibt Bonhoeffer im Gefängnis:

 

Von guten Mächten wunderbar geborgen Erwarten wir getrost, was kommen mag

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

 

Noch will das alte unsere Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last.

Ach Herr, gib unseren aufgeschreckten Seelen Das Heil, das du für uns geschaffen hast.

 

Bonhoeffer wurde nicht gerettet aus dem KZ – Jakobus nicht aus dem Gefängnis. Und doch war ihre Hoffnung nicht ins Leere gegangen.

 

2. Es gibt noch einen anderen Weg etwas zu tun, der uns oft ähnlich schwierig erscheint: das Gebet. Im Text heißt es: aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott . Trauen wir dem Gebet soviel Kraft zu wie die Menschen der Bibel? Gebet kann Mauern niederreißen. Das ist eine Erfahrung unserer Geschichte – bald 30 Jahre Jahre her – oder wollen wir lieber glauben es war das Wirken genialer Politiker, des Zufalls oder das Ergebnis eines natürlichen Zerfalls …? Waren die wöchentlichen Gebete in Leipzig, Dresden und Magdeburg – um nur einige zu nennen – wirksam oder sinnlos? Wieviel bedeutet uns Fürbitte für andere – von der Weltpolitik bis zum persönlichen Anliegen, wie wir sie in jedem Gottesdienst praktizieren? Der Versuch lohnt sicher, sich damit zu befassen. In dieser biblischen Geschichte betet die Gemeinde. Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinde. Wir fragen immer, was können wir tun? Beten-  ist hier die Antwort. Keine Demo. Kein Shitstorm. Kein Verkriechen. Nein, beten- aktiv mit Gott reden und hören.

 

3. Eine kurze Fabel aus der arabischen Mystik gibt es noch andere Möglichkeiten:

 

Unterwegs im Wald sah ein Mann einen Fuchs, der seine Beine verloren hatte. Er wunderte sich, wie das Tier wohl überleben konnte. Da sah er einen Tiger mit einem gerissenen Wild. Der Tiger hatte sich satt gefressen und überließ dem Fuchs den Rest. Am nächsten Tag ernährte Gott den Fuchs wiederum mit Hilfe des gleichen Tigers. Der Mann war erstaunt über Gottes große Güte und sagte zu sich: "Auch ich werde mich in einer Ecke ausruhen und dem Herrn voll vertrauen, und er wird mich mit allem Nötigen versorgen." Viele Tage brachte er so zu, aber nichts geschah, und der arme Kerl war dem Tode nahe, als er eine Stimme hörte: "Du da, auf dem falschen Weg, öffne die Augen vor der Wahrheit! Folge dem Beispiel des Tigers, und nimm dir nicht länger den behinderten Fuchs zum Vorbild." Auf der Straße traf ich ein kleines frierendes Mädchen, zitternd in einem dünnen Kleid, ohne Hoffnung, etwas Warmes zu essen zu bekommen. Ich wurde zornig und sagte zu Gott. "Wie kannst du das zulassen? Warum tust du nichts dagegen?" Eine Zeitlang sagte Gott nichts. Aber in der Nacht antwortete er ganz plötzlich: "Ich habe sehr wohl etwas dagegen getan. Ich habe dich geschaffen."

 

Liebe Gemeinde, Gott hat einen Plan mit uns. Er holt uns zur Not auch aus dem Gefängnis. Er hat uns befreit- durch Jesus Christus. Er gibt uns die Möglichkeit mit ihm zu reden. Wir haben einen einzigartigen Gott, der uns stärkt und Kraft schenkt. Nichts kann uns trennen von ihm, das ist die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu uns.

 

Wir wollen uns das zusingen, bis wir es im Herzen und im Kopf behalten.

 

So spreche ich Amen. – So soll es sein