Höre meine Stimme, wenn ich rufe – Exaudi - so heißt der Sonntag heute. Aber : Wer hört denn? Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten sind wir allein. Der Auferstandene hat sich getrennt von seinen Freunden, hat sich – Himmelfahrt - aufgemacht zu Gott. Und das Pfingstereignis, der Heilige Geist, der sich zu den Menschen begibt - steht noch bevor.

Höre meine Stimme, wenn ich rufe? Wer hört denn da noch? Im Kirchenjahr ist dieser Sonntag  ein bisschen verloren, ‚geistlos‘ sozusagen. So wie eine Zeit zwischen zwei Regierungen oder zwei Legislaturperioden des Kirchenvorstandes oder zwei Schuljahren. Eine Zeit dazwischen, wo man nicht so richtig weiß: woran soll ich mich halten.  Was gilt noch, was wird sich verändern?

In so einer geistlosen Zeit suchen Menschen nach Stabilität. Gefährlich wird diese Suche, wenn sie sich vermeintlichen Sicherheiten hingeben, sich populistischen Sprüchen anschließen, nach schnellen Lösungen suchen.  Also: was gibt unserem Leben Stabilität in geistlosen Zeiten?

Das Leben besteht aus Verträgen. Verträge regeln das Miteinander, und sie geben – zumindest in bestimmten Bereichen, Sicherheit. Mein Dienstvertrag regelt meine Arbeit, der Stromanbieter schließt mit mir einen Vertrag über meinen Stromverbrauch und dessen Kosten, mein Handyvertrag sichert mir bestimmte Leistungen, ein Ehevertrag kann im Krisenfall Klarheit herbeiführen, usw. Der Kaufvertrag für den neuen Schrank stellt die gegenseitigen Verpflichtungen fest, ja, und wenn man einen Vertrag  nicht einhält, kann man sich die Konsequenzen schon vorher ausmalen. Wenn ich meinen Handyvertrag nicht bezahle, kann ich das Handy nicht nutzen. Wenn ich mich nicht Mietvertrags-konform verhalte, habe ich bald keine Wohnung mehr. Wenn eine Baufirma ihren Zeitplan nicht einhält, zahlt sie Konventionalstrafe. 

Bei einem Vertrag gehen beide Seiten eine Verpflichtung ein, und meist wird sie schriftlich festgehalten. Das gibt Sicherheit.

Im alten Israel, lange vor unserer Zeitenrechnung, haben die Menschen ihren Alltag auch mit Verträgen geregelt, sicher nicht immer schriftlich, aber die Folgen hatten sie meist im Blick, wenn sie Verträge geschlossen haben. Das Zwischenmenschliche musste geregelt werden, etwa durch klare Familienhierarchien, Regeln über das Verhältnis von Mann und Frau, und Regeln über das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Wir kennen die schönen alten Geschichten vom Bund Gottes mit Noah, die großen Versprechen an Abraham und auch Mose hat den Israeliten den Bund Gottes mit ihnen vor Augen gehalten. Gott sagt: Ich führe euch aus Ägypten heraus, und ihr haltet euch an meine Gebote:  zwar kein schriftlicher Vertrag, aber schon ein Versprechen auf Gegenseitigkeit und immerhin die Gebote in Stein gemeißelt. Und gerade in besonders geist-losen Zeiten waren in Stein gemeißelte Gesetze stabilisierend.

Verträge werden gebrochen, und die unvermeidlichen Folgen treffen ein. Immer wieder deuten die Schreiber des ersten Testaments ihren Alltag mit dem belohnenden oder strafenden Gott. Die Prophetenbücher sind voll von Drohungen der Propheten an das Volk. Die Strafe wird auf dem Fuße folgen, Unheilsprophetie nennt man das, und oft genug geht die schlimmste Drohung der Propheten in Erfüllung.  Einmal allerdings hat einer dieser Propheten, Jeremia war es, seine Hörer richtig überrascht. Im Jeremiabuch, das sonst hauptsächlich aus Unheilsprophetie besteht, aus Klage und Untergangsstimmung, im Jeremiabuch gibt es eine besondere Ausnahme. Da macht sich Jeremia zum Sprachrohr Gottes, um ein großes Versprechen zu geben, das direkt ins Herz geht. Und das ist der Text, der heute als Predigttext für diesen ‚geistlosen‘ Sonntag Exaudi vorgesehen ist. Jeremia 31, 31-34

Gebt Acht, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, obgleich ich ihr Herr war; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich lege mein Gesetz in ihr Herz und schreibe es in ihren Sinn. Sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Da wird keiner den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie alle werden mich kennen, Kleine und Große. Ihre Untaten will ich vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken.

 

Was ist das Neue?

Dieses Gesetz geht direkt ins Herz. Gott sagt: Ich lege mein Gesetz in ihr Herz und schreibe es in ihren Sinn. Sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.

Gott legt sich uns ans Herz: Ich will euer Gott sein, Ihr seid mein Volk. Ihr, Israel, und ihr, die Völker der Welt, ich euer Gott, und ihr mein Volk. Ein großes Versprechen, einseitig, kein Vertrag. Ein einseitig geschlossener Bund. Kein Vertrag der das Leben sicher macht, ein Bund im Herzen. Ein großes Versprechen. Etwas fürs Herz.

Ja, und dann? Was hab ich davon? Dass Gott sich in mein Herz gepflanzt, geschrieben hat? Was ich davon habe, ergibt sich. Ja es ergibt sich, ich muss es nicht machen. Kein Gebot einhalten, kein Gesetz befolgen. Es ergibt sich. Mit Jeremias Worten:

Da wird keiner den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie alle werden mich kennen, Kleine und Große. Ihre Untaten will ich vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken.

Soll heißen: Keiner muss  mehr dem anderen sagen, wie das mit Gott zu verstehen ist. Keiner muss mehr dem anderen sagen, was gut ist im Leben und was schlecht. Jeder weiß es, jeder lebt es, es ergibt sich.  Kleine und Große werden Gott kennen. Es ergibt sich.

Ist das eine Utopie? In der ‚geistlosen‘ Zeit  ein Blick in die weit entfernte Zukunft? Ja, möchte ich sagen, davon sind wir so weit entfernt wie lange nicht. Viel lieber und viel einfacher halten wir uns an Sicherheiten, an Gesetze, an Verordnungen, die das Leben regeln. Wer bei rot über die Ampel fährt, zahlt. Wer den Mietvertrag nicht einhält, geht. Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, wird ausgewiesen. Wer nach der OP drei Tage im Krankenhaus war, wird entlassen. Wer seine Stromrechnung nicht zahlt, hat keinen Strom.  Ja, das sind Gesetze, die Sicherheit geben. Aber sie gehen nicht ins Herz. Sie bleiben im Kopf.

Anders ist das, was wir in der Kirche erleben, was wir feiern. Ja, sicher, wir haben auch Gesetze, wie ein Gottesdienst geht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen damit ich bei der Kirche arbeiten kann, wie viele Küsterstunden einer Gemeinde zustehen.  Aber unsere Botschaft, die uns aufgetragen ist, sie geht ins Herz. Und wenn wir Jugendliche konfirmieren und mit dem Segen entlassen, dann geht die Botschaft ins Herz. Und wenn zwei Menschen sich trauen lassen, geht der Segen ins Herz. Wenn eine Kirchengemeinde Kirchenasyl gewährt, tut sie das aus dem Herzen; die Diakonie der Kirche ist Herzenssache. Für mich ist all das schon ein Aufblitzen des neuen Bundes, von dem Jeremia vor so langer Zeit sprach. Hier wird etwas davon spürbar, was es heißt: ’Sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein‘. Es ergibt sich.

Höre meine Stimme, wenn ich rufe. Ja, möchte ich heute am Sonntag Exaudi rufen, ja Gott, höre uns und leg uns deine Gesetze ins Herz. Lass wahr werden, was du Jeremia in den Mund gelegt hast, lass wahr werden, was wir manchmal schon ahnen, und was in Jesus Christus  schon aufblitzte. Du segnest uns und schickst uns den Heiligen Geist, auf dass wir nicht allein sind.

Komm Heiliger Geist und begeistere uns. Amen.