Rogate
Betet. Wird heute überhaupt noch gebetet? Das gemeinsame
Tischgebet scheint aus der Mode vielleicht nur noch in
wenigen Familien, auf etlichen kirchlichen Tagungen und
Freizeiten. Und das private Gebet im stillen Kämmerlein,
als Nachtgebet, oder spontan im Alltag als Gebet an der Ampel
oder im Bus oder im Schaukelstuhl? Ich wage nicht zu urteilen.
Aber wer regelmäßig betet, weiß vielleicht auch um das
Wohltuende dieses Gebets, auch wenn es manchmal kurz und
belanglos ausfällt. Wer gelegentlich betet, kann auch verstehen,
mit welchen Ermutigungen der Kolosserbrief endet:
2
Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3
Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für
das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um
dessentwillen ich auch in Fesseln bin, 4 auf dass ich es so
offenbar mache, wie ich es soll. 5 Verhaltet euch weise
gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. 6
Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass
ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.
Der Brief geht zu Ende und der Schreiber
äußert letzte Worte, die wie eine Ermahnung klingen, aber
vielleicht doch eher als Ermutigung gemeint sind. Damit trifft er
mich, trifft er mein Leben. Gerade in diesem Format, das in etwa
dem entspricht, wenn jemand am Ende eines Briefes schreibt Halt
die Ohren steif. Das ist auch Befehlsform, aber sicher
nicht als Befehl zu verstehen. Ich fühle mich ermuntert: Denk
nicht groß nach, bete einfach, lege dein Leben in Gottes Hände
und vertraue deine Wünsche, deine Klagen, deine Schuld seinen
Ohren an.
Dieser Schreiber hat gute Erfahrung
gemacht mit seinem Beten und darum möchte er den Menschen, an
die sein Brief geht, Mut machen, dieselben Erfahrungen zu machen.
Ob das funktioniert? Erfahrungen kann man ja nur schlecht
weitergeben. Aber er versucht es.
Der wichtigste Gedanke ist für ihn:
beharrlich bleiben. Wenn mir etwas wichtig ist, dann werde ich
beharrlich. Wenn ich mir als Kind wirklich etwas gewünscht habe,
dann war das nicht frei von Nerverei. Jede Gelegenheit genutzt,
meinen Wunsch einzubringen. Und wenn ich etwas lernen möchte
oder eine Sportart erfolgreich betreiben möchte, dann werde ich
beharrlich. Dann engagiere ich mich intensiv. So sagt unser
Schreiber könnt ihr auch mit dem Beten verfahren. Ihr dürft
Gott nerven mit Euren Anliegen. Ihr dürft Euch verbeißen in
Eure Gebete. Und ihr dürft das ganze Spektrum des Gebetes
ausnutzen, ihr dürft bitten, danken, ihr dürft über eure
Fehler reden und das Wohlergehen andere in Gottes Hände legen.
Da ist ein Mensch im Gefängnis und
schreibt einen Brief. Er schreibt im Namen des Apostels Paulus,
aber es ist wohl eher nicht Paulus persönlich. Er hat Zeit, Zeit
zu beten, Zeit, Fürbitte zu erbitten. Und er möchte der
Gemeinde Mut machen, sich auch Zeit zu nehmen für das Gebet. Er
weiß um die Kolosser, um ihre Streitereien, um die
vagabundierenden Irrlehren. Und möchte ihnen helfen ihren
Glauben zu leben auch mit allen Verschiedenheiten. Darum
legt er ihnen das Gebet besonders ans Herz, weil er weiß, Streit
überwindet man nicht einfach so. Dazu braucht es meistens Gottes
Hilfe Darum legt er ihnen das Gebet so sehr ans Herz.
Das beharrliche Gebet ist so etwas wie
das beharrlich Wache halten oder jeden Abend die Haustür
abzuschließen. Monatelang passiert nichts, aber wenn man
aufhört, dann passiert es.
Die Formulierung erinnert an Jesu Gebet
in Gethsemane. Jesus erlebt eine dunkle bittere Stunde. Während
er im Gebet sich Gott zur Verfügung stellt, schlafen seine
Jünger immer wieder ein. Das Gebet ist nicht einfach, gerade das
Gebet, in dem ich spreche Dein Wille geschehe. Ich
bringe mich und meinen Willen vor Gott, aber im Hintergrund steht
immer Jesus, der betet Dein Wille geschehe. Und auch die
Erfahrung, dass ich manchmal mich im Gebet von den Menschen
verlassen fühle. Vielleicht kann ich das ja lernen, gerade in
solchen Momenten, die Ansprechbarkeit Gottes zu genießen.
Da hilft nur noch beten ist
allerdings kein christlicher Satz: Er redet davon, dass wir das
Leben ja eigentlich ganz gut in Griff haben. Und wenn wir es dann
doch einmal verlieren, dann hilft nur noch beten. Solche
Rede nimmt nicht ernst, dass beten eine Übung in guten wie
in schlechten Tagen sein sollte.
Natürlich muss ich damit rechnen, dass
meine Wege nicht Gottes Wege sind, dass er vielleicht Ziele und
Ideen hat, die ich nicht verstehe, aber ich darf ihn immer noch
darum bitten, dass ich lerne ihn zu verstehen und ich darf ihm
meine Gedanken und Bedenken mitteilen. Die Bibel ist voll von
Beispielen von Menschen, die Gottes Willen verändert oder
beeinflusst haben, weil sie gebetet haben.
Genauso oft erzählt die Bibel allerdings
auch von Menschen, die erkennen mussten, dass ihr Wille nicht
Gottes Zielen entspricht. Wie so oft im Leben muss und darf ich
mit allem rechnen: mit Gott, der sich bewegen lässt und mit
Gottes Wegen, die ich nicht verstehe. Aber so oder so, er lässt
es zu, dass ich mit ihm rede, mit ihm streite, mit ihm brülle
und mit ihm stammele.
Was kein gutes Gebet ist, ist dieses
Gebet, in dem ich Gott vorschreiben will, was er machen soll und
mich dann zurücklehne nach dem Motto: Guter Gott, mach mal.
Zu jedem Gebet gehört auch ein
entsprechendes Tun. Wer für die Ausbreitung des Evangeliums
betet, muss auch selber angemessen verkünden, weise, freundlich
und mit Salz gewürzt. So beschreibt es unser Brief. Ich
muss deutlich wissen, was ich will. Nicht nur wofür ich bete,
auch was ich für de Erfüllung meiner Gebet tun möchte.
Interessant ist in unserem Abschnitt,
dass Paulus (bzw. die Person, die hinter dem Kolosserbrief steht)
nicht so sehr um persönliche Befreiung bittet, obwohl er
gefangen ist, sondern um Freiheit für das Wort, das laufen soll.
Da ist einer, der kann mehr als ich. Er stellt sein persönliches
Ergehen zurück hinter das Evangelium. Lieber will der den
römischen Kerker aushalten, als zu ertragen, dass die Sache Jesu
nicht weitergeht.
Beten ist ein bisschen wie Twittern. Ob
es klug ist, unfertige Gedanken zu twittern oder zu posten, sei
dahin gestellt, aber mit Gott darf ich so reden, wie manche
Mitmenschen Twittern: in unfertigen Gedanken und Sätzen, nicht
zu Ende gedacht und gut gemeint. Mit Gott darf ich reden wie mit
einem Freund, er will mich verstehen, auch dann, wenn ich mich
selbst nicht verstehe.
Beten ist gerade nicht das Aussteigen aus
einer Wirklichkeit, sondern sich mit der Wirklichkeit vor Gott
stellen, auch mit seiner Hilfsbedürftigkeit. Im Gebet bietet
sich Gott uns an, macht sich uns verfügbar. Wir müssen nur am
Ball bleiben.