Jesaja 63,15-16(17-19a)19b;64,1-3
So schau nun
vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!
Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche
Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser
Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns
nicht. Du, Herr, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist
von alters her dein Name. (Warum lässt du uns, Herr, abirren von
deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht
fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme
willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges
Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.
Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest,
wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.) Ach dass du
den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir
zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser
sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und
die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust,
das wir nicht erwarten und führest herab, dass die Berge
vor dir zerflössen! und das man von alters her nicht
vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen
Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
Herr, segne unser Reden und Hören durch
deinen Heiligen Geist. Amen.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext dieses 2. Advents nimmt uns mit in eine Zeit
größter Erwartungen. Worte des Propheten Jesaja, genauer des
dritten Propheten, der unter diesem Namen geschrieben hat.
Gesprochen am Ende der Exilszeit. Fast 70 Jahre war es her, dass
Israel und der Tempel in Jerusalem zerstört worden waren. Fast
zwei Generationen waren in Babylon aufgewachsen. Kaum noch jemand
konnte aus eigener Erfahrung aus der alten Heimat in Israel
erzählen. Man hatte sich arrangiert. Doch mit der Anpassung
verlor sich das Vertrauen in Gott. Kaum noch jemand erwartete
eine Rückkehr nach Palästina. Immer kleiner wurde der Kreis
derer, die am Glauben festhielten. Wozu noch? Gott war besiegt.
Das Mitlaufen mit den Trends der Großmacht so viel bequemer.
Dagegen erhebt Jesaja seine Stimme. Und nicht etwa gegen das Volk.
Seine Klage richtet sich an Gott selber. Wo bist du jetzt? Warum
lässt du unseren Verfall zu?
Liebe Gemeinde,
Beim ersten Hören ist nur schwer zu erfassen, was Jesaja hier
alles sagt. Schwermütig klingen die Worte und ein wenig
pathetisch. Und doch ist es bemerkenswert, was hier
aufgeschrieben ist.
Da ist als erstes die Klage selber. Der Prophet Gottes klagt Gott
an. Und: spätere Generationen haben diese Worte ausgewählt, um
sie der Heiligen Schrift, unserer Bibel, zuzuordnen. Das ist für
mich eine der großen Errungenschaften unserer jüdisch-christlich
Tradition: Die Klage über das was ich nicht verstehe, ist
wichtig. Ich darf damit vor Gott treten. Die Klage gegen Gott war
unseren Vorfahren so wichtig, dass davon in der Heiligen Schrift
als Gottes Wort berichtet wird. Wenn Juden und Christen mit Gott
reden, dann reden sie nicht mit einem unabänderlichen Schicksal.
Gott nimmt jede und jeden ernst. Ich darf mit meinen Zweifeln,
meiner Unzufriedenheit und mit meinen Sorgen vor ihn treten.
Höhepunkt dieser Tradition ist sicher der Ruf Jesu vom Kreuz:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Das zweite ist der Inhalt der Klage:
Warum, Gott, warum lässt du es zu, dass wir von deinen Wegen
abirren? Warum setzt du nicht deutliche Zeichen, damit das
Vertrauen wieder wachsen kann?
Und dann wird der Alltag geschildert. Ein Alltag, in dem Gott
nicht mehr vorkommt. Ein Alltag in dem Gottes Volk sich
mitreißen lässt im Strom der Weltstadt. Gottes Ruf hat seine
lockende Macht verloren. Die Menschen haben sich damit abgefunden,
ihren Alltag abzusichern. Das eigene Einkommen ist wichtig.
Längst wohnen die Israeliten in festen Häusern in der fremden
Stadt. Der Tempel isst vergessen. An die Stelle von Gottes Wort
sind die Regeln der Weltwirtschaft getreten. Manche Klage des
Exilspropheten kann man nahtlos in unsere Gegenwart übertragen.
Längst haben die Denkmuster der Wirtschaft alle Lebensbereiche
durchdrungen. Selbst die Advents- und Weihnachtszeit wird von
wirtschaftlichen Fragen dominiert. Weihnachten wird durch die
Geschenke entschieden, so wird uns weisgemacht. Mit den Bildern
des Glaubens wird der neue Gott Geld beworben. Manche Branchen
unserer Wirtschaft arbeiten das ganze Jahr hin auf diese vier
Wochen im Dezember. Hier wird der Umsatz des Jahres gemacht. Hier
entscheidet sich, ob es unserer Wirtschaft gut geht oder nicht.
Verlockend: All dies geschieht mit den Bildern und dem Vokabular
unserer christlichen Tradition. Immer geschickter werden Inhalte
unseres Glaubens mit den Verlockungen zum grenzenlosen Konsum
verbunden.
Auch als Kirche sind wir darin verstrickt. Die gute Konjunktur
des vergehenden Jahres und die zurückgehende Arbeitslosigkeit
haben auch der Kirche zu unerwarteten Einnahmen verholfen. Wer
mag da schon kritisch anfragen, ob das denn alles im Sinn Gottes
ist?
Ach Gott, dass Du vom Himmel herabfährst und deutliche Zeichen
setzt! Dass vor Dir Berge zerfließen und die Wasser kochen! Dass
Du uns Weisung gibst, wie wir leben sollen! Liebe Gemeinde, der
Ruf nach solchen Zeichen Gottes ist für uns Christen nicht
ungehört geblieben. Dass ist es, worauf wir uns in dieser
Adventszeit vorbereiten: Gott verzichtet auf all seine Macht und
wird Mensch. Er wird als Kind unter ärmsten Bedingungen geboren
als Vorbild für unsere Solidarität. Wir wissen, was gut und
wichtig ist. Immer deutlicher nehmen wir auch wahr, wie wenig der
Konsumkult und das Weihnachtsfest zusammen passen. Dennoch ist es
schwer, sich diesem zu entziehen.
Wie die Menschen zur Zeit Jesajas warten wir noch immer auf
Gottes Eingreifen in diese Welt. Wir sind gleichsam klagend
Wartende und hoffend Erwartende. Beides gehört zu uns als
Christen: die Klage über den jetzigen Zustand der Welt und die
Hoffnung, dass Gott alles neu machen wird. Klagen und Hoffen
beides können wir in Gelassenheit tun. Denn wir glauben,
dass unser Rufen und unser Hoffen nicht vergeblich sind. Jesus
sagt uns jedoch: Das Reich Gottes ist bereits mitten unter euch.
Auf uns kommt es an. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.
Gott stellt sich vor: Erlöser, das ist von jeher sein Name. Die
Kernaussage für den 2. Advent: Die Sehnsucht nach der Wiederkehr
Christi und damit verbunden die Hoffnung auf eine gerechte Welt
und auf Erlösung prägen den Charakter dieses Sonntags. All
Not hat nun ein Ende.... Gerade den Gebeugten und
Niedergedrückten, den Zurückgewiesenen und Benachteiligten gilt
die Frohe Botschaft: Haltet durch, Gott sieht die Bedrängnis und
hört das Klagen. Wer auf Erlösung wartet, hofft nicht
vergeblich. Darum: Kopf hoch, damit ihr sie kommen seht. Der
Zweite Advent
spricht von einem kosmischen, umwälzenden Befreiungsgeschehen.
Die Wiederkunft Jesu wird nicht unbemerkt bleiben. Sie wird uns
erschrecken, aber nicht zum Fürchten sein. Wer beharrlich mit
seiner kleinen Kraft nach Gott Ausschau hält, den wird er nicht
enttäuschen.
Und manchmal staune ich wieder darüber:
Jesus hat uns bereits erlöst. Das dürfen wir endlich mal
persönlich nehmen. Diese Erlösungstat betrifft zuerst mich. Und
dann meinem Nächsten und meinem Nachbarn. Wenn Du nicht
verstanden hast, dass Jesus Dich erlöst hat, dann bete ich für
Dich, dass Dein Glaube nicht aufhöre und dass Du zu Jesus kommst.
Lass Dich anstecken an Weihnachten: Jesus kommt zu Dir als
Dein persönlicher Erlöser. Sei gesegnet im Namen des Herren.
Amen