Matthäus 28,1-10

Als der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.  Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht: Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.

Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen:  Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen.

 

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

ist es nicht seltsam? Zigtausende Christen pilgern Jahr für Jahr nach Jerusalem. Was wollen sie sehen? Das Grab Jesu. Was können sie dann zuhause erzählen? „Ich war da, wo Jesus nicht ist!“

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

Ein anderes Bild: Seit fast 30 Jahren steht das Kreuz am Straßenrand. Vor fast 30 Jahren hat an dieser Stelle ein junger Mann bei einem Verkehrsunfall sein Leben verloren – sein Leben, das er doch eigentlich noch vor sich hatte. Seit fast 30 Jahren ist dieses Kreuz mit immer neuen frischen Blumen geschmückt. Seit fast 30 Jahren ist auch das Grab dieses jungen Mannes auf dem Friedhof des Dorfes stets mit frischen Blumen geschmückt.

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

Die Frauen gehen zum Grab, ähnlich wie wir es tun, wenn ein lieber Mensch gestorben ist. Ihr Meister, ihr Lehrer, ihr Freund ist tot, umgebracht, gekreuzigt. Sie besuchen sein Grab, um zu trauern, um den Abschied von ihm zu gestalten, den Abschied, für den keine Zeit war vor dem Tod Jesu. Sie wollen das Grab betrachten, heißt es wörtlich bei Matthäus. Betrachten, das heißt: Sie wollen wahrnehmen, wollen die Wahrheit annehmen, die traurige Wahrheit, dass Jesus nicht mehr bei ihnen ist.

Was dann geschieht, erschüttert sie zutiefst. Ihr ganzes Weltbild gerät ins Wanken – im wahrsten Sinn des Wortes:

Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben.

Wer einmal Erdbeben erlebt hat, der weiß, wie dieses Schwanken beunruhigt und durcheinander bringt, selbst wenn die Wände um einen herum heil bleiben. Der feste und sichere Boden unter den Füßen ist plötzlich nicht mehr sicher und fest – und damit steht alles in Frage. Doch dieses Erdbeben ist nur ein Zeichen für das, was geschieht und was letztlich niemand beschreiben kann.

Das Geschehen lässt die Wachsoldaten wie tot zu Boden fallen.

Den Frauen erginge es nicht anders, würden sie nicht angesprochen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier, er ist auferstanden!

Das und nichts weniger ist die Botschaft des Osterfestes, liebe Schwestern und Brüder: so provokativ, so gegen all unsere Erfahrung sie auch klingen mag.

Vergessen Sie die harmlosen Bilder vom Frühling, der nach langer Winterstarre neues Leben und neues Blühen bringt. Vergessen Sie den Schmetterling, der aus der starren Puppe schlüpft.

Ostern sagt das ganz Andere, das Unfassbare:

Der Gekreuzigte ist auferstanden!

Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat.

Der Engel gestattet den Frauen noch einen Blick, doch was bringt der ohne die Botschaft des Engels?

Da sind tausend Möglichkeiten der Erklärung:

Freunde haben den Leichnam versteckt, Gegner Jesu haben ihn weggeschafft, die Römer haben ihn beschlagnahmt, der Gärtner ihn umgebettet…

All das klingt in den biblischen Berichten an und erfasst gerade nicht die Wahrheit, die verkündigt wird: Der Gekreuzigte ist auferstanden!

Und dann schickt der Engel die Frauen weg. Kein Verweilen am Grab, kein Bleiben an einer Gedenkstätte, nein, Jesus lebt! Ihr müsst nicht seiner gedenken! Setzt euch seiner Gegenwart aus!

Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

Bleibt nicht hier, tragt die Botschaft weiter!

Die Frauen gehen – mit Furcht und großer Freude. Auf ihrem Weg begegnet ihnen Jesus. Er spricht sie an: Seid gegrüßt!

Wörtlich übersetzt heißt dieser griechische Gruß „Freut euch!“

Mit Furcht und großer Freude sind die Frauen vom Grab losgelaufen, nun darf die Freude überwiegen. Sie erkennen Jesus, sie fallen vor ihm nieder – und wieder hören sie die Worte, die schon der Engel am Grab gesagt hatte: Fürchtet euch nicht!

In den Berichten der Bibel hören Menschen diese Worte immer dann, wenn sie es unmittelbar mit Gott zu tun haben, wenn Gott ihnen begegnet und diese Begegnung sie vollkommen in Frage stellt.

Denken Sie an die Hirten in Bethlehem: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude!

Oder an Maria:  Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden!

Jetzt hören die Frauen, die noch voller Furcht sind von dem, was sie erlebt haben, in denen nicht nur das gefühlte Erdbeben nachwirkt: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen.

Geht nach Galiläa, dort werdet ihr mich sehen.

Nun ist Galiläa wohl der Ort, die Gegend, wo alles begonnen hat.

Die Evangelien erzählen uns: In Galiläa hatte Jesus seine Jünger berufen. In Galiläa hatte er gepredigt vom Reich Gottes. Galiläa war auch der Ort der ersten Auseinandersetzungen mit den Pharisäern, der Ort der ersten Streitgespräche.

Geht nach Galiläa – das ist kein Aufruf zur Rückkehr in eine heile Welt. Das ist ein Aufruf zur Rückkehr in den Alltag, ins ganz normale Leben, ein Aufruf zur Rückkehr in die Heimat.

In Galiläa sind die Jünger und Jüngerinnen zuhause: in Kapernaum am See Genezareth. Und in Magdala, auf Hebräisch Migdal, nicht weit weg von Kapernaum.

Geht nach Galiläa, geht in eure Heimat, in euren Alltag, dort werdet ihr mich sehen.

Wohin sendet uns der Auferstandene?

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass wir die Grabeskirche oder das Gartengrab in Jerusalem anschauen – Israel ist auf jeden Fall eine Reise wert. Es ist auch nichts dagegen zu sagen, dass wir unsere lieben Verstorbenen betrauern. Doch an den Gräbern, an den Gedenkstätten werden wir sie nicht mehr finden. Dort werden wir auch Jesus, den Auferstandenen, nicht finden.

Geht hin nach Galiläa:

Geht in eure Heimat, geht in euren Alltag, geht in euer Leben.

Dort, so ist uns verheißen, werden wir Jesus begegnen.

Indem wir nicht nur zurückschauen auf das, was gewesen ist – so wichtig die Erinnerung auch ist. Sondern indem wir den Auferstandenen erwarten, ihn mit hinein nehmen in unser Leben, in unseren Alltag.

An einen Verstorbenen kann ich mich nur erinnern.

Den Lebendigen, den Auferstandenen kann ich erwarten – in meinem Leben. Und ich kann ihm die anvertrauen, die mir vorausgegangen sind. Denn in ihm und nur in ihm leben sie.

Unser Galiläa liegt nicht im Norden Israels.

Es ist da, wo wir zuhause sind, wo wir leben und arbeiten, lachen und weinen, lieben und leiden.

Hier begegnet uns der lebendige Christus.

Nehmen wir ihn beim Wort!

Denn er hat seinen Jüngern und damit auch uns versprochen:

Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende![1] Amen.